janw.de - Unterwegs in Tschechien
 Dresden - Zittau - Liberec - Česká Lípa - Děčín 19.09.2010 
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371 005 und 371 001 in Dresden Hbf

Es ist Mitte September in Dresden. In der Morgensonne stehen stehen zwei Lokomotiven der tschechischen Baureihe 371 nebeneinander, wobei ich mir nicht sicher bin, ob diese Bild relativ alltäglich ist oder es sich nicht vielleicht doch um etwas Fotografenglück handelt. In dieser Lackierung gibt es momentan noch vier Lokomotiven, zwei sind auf dem Bild zu sehen, die anderen beiden sind die 371 015 und die bei ČD Cargo fahrende 372 006. Die 371 sind für den Betrieb mit 160 km/h zwischen 1996 und 2001 modernisierte 372, insgesamt wurden sechs Lokomotiven umgebaut (371 001-005 und 371 015), später kam noch die von der DB abgegebene 371 201 (ex 180 001) dazu, die aber in einigen technischen Details von den anderen 371 abweicht. Die Mehrsystemloks für 3 kV Gleichstrom und 15 kV 16 2/3 Hz Wechselstrom kommen im Wesentlichen im EuroCity-Verkehr zwischen Dresden und Praha zum Einsatz. Bis Ende 2010 werden sie am Wochenende auch im Nahverkehr zwischen Bad Schandau und Děčín eingesetzt.

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ÖBB 1216 235 mit CNL 459 "CANOPUS" Zürich HB - Praha hl.n. in Dresden Hbf

In der Zwischenzeit ist auch der Nachtzug aus Zürich eingetroffen, der im Abschnitt Dresden - Praha mit einer 1216 der ÖBB gefahren wird. Wie sich im Nachhinein herausstellte (der Text zu dieser Fahrt ist erst im Januar 2011 und somit einen Fahrplanwechsel später entstanden), blieb der Einsatz dieser Dreisystemloks zwischen Sachsen und Tschechien eine Episode des Fahrplanjahres 2009/2010. Eine Lokomotive dieser Baureihe stellte übrigens im September 2006 mit 357 km/h den Geschwindigkeitsweltrekord für konventionelle Lokomotiven auf (die reguläre Höchstgeschwindigkeit dieser Loks ist 230 km/h).

Wir verlassen Dresden nun mit dem Ziel Tschechien, allerdings nicht der Elbe flußaufwärts folgend, sondern in einer ganz anderen Richtung. Ein Regionalexpress bringt uns nach Osten ins Dreiländereck, der nächste Umsteigebahnhof dieser Fahrt ist Zittau.

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99 758 mit SOE 204 Zittau - Kurort Oybin in Zittau

Etwas Aufenthaltszeit dort wird genutzt, um mal kurz bei der Zittauer Schmalspurbahn einen Blick über den Zaun zu werfen. Weiter geht es jedoch auf normaler Spurweite.

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810 511 mit Os 6208 Liberec - Varnsdorf in Zittau

Eine seltsame Eigenheit des Hobbys Eisenbahnfotografie ist, daß man häufig der nahenden Vergangenheit hinterher rennt. Man bereist Gegenden und macht Bilder, für die es keine weitere Gelegenheit gibt, sei es weil eine Strecke eingestellt wird oder die Fahrzeuge verschwinden und der Moderne weichen. Das hier ist so ein Bild. Im Dezember 2010 übernimmt die Vogtlandbahn mit Desiros den Betrieb auf der KBS 089 Liberec - Rybniště, mit der zeitgleichen Einstellung des Verkehrs auf der KBS 088 Rumburk - Ebersbach endet dann der Einsatz der Brotbüchsen der Baureihe 810 im Grenzverkehr im Dreiländereck. Die 810 sind dann innerhalb Deutschlands nur noch in Johanngeorgenstadt und Furth im Wald zu sehen. Im September ist jedoch von all dem noch nichts zu spüren, und so fahren wir in der Brotbüchse von Zittau weiter nach Liberec. (Bemerkenswert sind übrigens auch die in Zittau noch vorhandenen Formsignale im Bildhintergrund.)

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814 235 als Os 6316 Liberec - Černousy und 742 059 in Liberec

Ankunft in Liberec. Das Wetter hat sich für einen Moment etwas zugezogen und am Bahnsteig steht der Schnellzug in Richtung Ústí nad Labem. Die Zuglok ist eine Brejlovec der Baureihe 750, von der es später noch ein Bild zu sehen gibt, am Zugschluß hängt eine 742. Die Lok kam an dem Tag ersatzweise mit einem früheren Zugpaar desselben Wagenumlaufs zum Einsatz und wird nun noch bis Česká Lípa mitgenommen. Daneben steht ein dreiteiliger Regionova der Baureihe 814.2, der gleich in Richtung Frýdlant abfahren wird. Fünf der derzeit sechsundzwanzig aus jeweils zwei 810 und einem Beiwagen entstandenen Triebwagen dieser Baureihe sind in Liberec beheimat, sie kommen (zusammen mit anderen Fahrzeugtypen) auf den meisten umliegenden Strecken zum Einsatz. Obwohl sie, rechnet man das frühere Dasein als Brotbüchse mal ab, erst dreieinhalb Jahre alt sind, werden sie auf den Strecken nach Tanvald und rund um Frýdlant spätestens im Dezember 2011 im Rahmen eines neuen Verkehrsvertrags durch neue Regioshuttle des Herstellers Stadler abgelöst (in Deutschland kennt man diese Fahrzeuge als Baureihe 650).

Mit dem Schnellzug verlassen wir Liberec nun in Richtung Česká Lípa. Die Fahrt beginnt zunächst südwärts durch den Güterbahnhof und vorbei am Bahnbetriebswerk. Am ehemaligen Bahnhof der ATE biegt die Strecke dann zunächst in südwestlicher Richtung ab, um direkt anschließend nach dem Durchfahren einer großen spiegelverkehrten S-Kurve (in der auch die Bahnstrecke nach Turnov unterquert wird) schließlich nach Nordwesten zu führen. Wir befinden uns nun auf dem östlichen Streckenstück der Nordböhmischen Transversalbahn Teplice - Lovosice - Česká Lípa - Liberec und durchfahren kurz darauf den Bahnhof Liberec-Horní Růžodol, anschließend folgt Ostašov und schließlich Karlov pod Ještědem, ein idyllischer kleiner Bahnhof mitten im Wald, dessen hübsches Bahnhofsgebäude hier unbedingt Erwähnung finden soll. Die Strecke überquert nun in Hanglage den Mittelgebirgskamm nördlich des Ještěd (1012 m) und durchfährt zwei Tunnel und mehrere Brücken. Auf Kryštofovo Údolí folgt der Haltepunkt Novina, hinter dem in einer langgezogenen Kurve eine 198 m lange und 30 m hohe Steinbogenbrücke überfahren wird. Der Viadukt von Novina ist ein bekanntes Eisenbahnmotiv, gefolgt wird er von einem 815 m langen Tunnel, hinter dem der Bahnhof Křižany liegt. Hier legt der Schnellzug einen Betriebshalt ein, um auf den Gegenzug zu warten (die gesamte Strecke ist eingleisig). Die nächsten Bahnhof sind Zdislava, Rynoltice, Lvová und schließlich die Kleinstadt Jablonné v Podještědí, wo bereits die nächste Zugkreuzug stattfindet und wir erstmal aussteigen.

Am 18./19.09.2010 feierte die Bahnstrecke Česká Lípa - Liberec ihr 110jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass fuhren zwei Dampfsonderzugpaare, die mit den Lokomotiven 310.0134 (ČD, Depot Turnov) und 423.0145 (Eisenbahnmuseum Jaroměř) bespannt waren. In Jablonné v Podještědí und Mimoň hatten diese Züge längere Aufenthalte zum Wasserfassen, die es ermöglichten, den Sonderzügen mit den regulären Planzügen der Strecke vorauszufahren, um hier und da ein paar Bilder zu machen.

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423.0145 in Jablonné v Podještědí

Die Baureihe 423.0 ist eine 1'D1'h2t-Nebenbahnlokomotive, die ab 1921 in einer Stückzahl von 231 Maschinen gebaut wurde. Die Lokomotiven besitzen, je nach Bauserie, eine Leistung von etwa 750 bis 800 PS, eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h und waren bis zum Jahr 1980 im Planeinsatz.

Mit dem nächsten Schnellzug verlassen wir Jablonné v Podještědí und fahren dem Dampfzug bis Mimoň voraus. Die Landschaft entlang der Strecke ändert nun ihr Aussehen, Wald und Mittelgebirge weichen einer offenen und eher hügeligen Landschaft mit den ursprünglich vulkanischen Kegelbergen, wie man sie rund um Česká Lípa kennt. Die nächsten Bahnhöfe Velký Valtinov, Brniště, Velký Grunov und Pertoltice pod Ralskem durchfährt der Zug ohne Halt, dann sind wir in Mimoň.

Bevor der Dampfzug eintrifft, sägt noch M 131.1081 durch den Bahnhof. Der Triebwagen pendelte, ebenfalls aus Anlaß des Streckenjubiläums, zwischen Mimoň und Mimoň staré nádraží. Letzterer ist der frühere Endbahnhof der ursprünglichen Bahnstrecke Česká Lípa - Mimoň, die später ein Teil der Nordböhmischen Transversalbahn wurde, heute wird er nur noch im Güterverkehr angefahren.

Es dauert nicht allzu lange, dann trifft auch 423.0145 mit dem Sonderzug aus Liberec ein.

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423.0145 mit Os 39448 Liberec - Česká Lípa hl.n. (Sonderzug) in Mimoň

Ein paar Minuten später dampft es auch aus der Gegenrichtung. Die 310.0134, eine kleine Cn2t-Lokomotive von 1913, trifft mit dem Gegenzug ein. Die Lokomotive ist die ehemalige Lok 1 "LITOVEL" der Místní dráha (Lokalbahn) Litovel - Senice und entspricht in ihrer Bauart der kkStB-Baureihe 97. Die ČSD hatte einst 138 dieser 40 km/h schnellen und etwa 300 PS starken Maschinen in ihrem Bestand, sie wurden bis 1968 eingesetzt.

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310.0134 mit Os 39449 Česká Lípa hl.n. - Liberec (Sonderzug) in Mimoň

Mit dem nächsten Regionova führt die Fahrt weiter nach Česká Lípa. Der Zug hält bis dahin noch in Božíkov, Zákupy und Vlčí Důl-Dobranov. Ab dem letzten Bahnhof fährt der Triebwagen auf einer erst seit 1989 vorhandenen Neubaustrecke, welche die KBS 086 von Süden her an den heutigen Hauptbahnhof von Česká Lípa anbindet.

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750 258 mit R 1163 Horní Police - Liberec und 814 108 als Os 6030 Doksy - Jedlová in Česká Lípa hl.n.

Seit einigen Jahren fährt planmäßig nur noch einer der drei Umläufe der Schnellzuglinie Ústí nad Labem - Děčín - Česká Lípa - Liberec als lokbespannter Zug mit einer Brejlovec der Baureihe 750 (die anderen beiden werden mit Triebwagen der Baureihen 843 und 854 gefahren). Er ist gleichzeitig der letzte Umlauf in ganz Nordböhmen, in dem diese Lokomotivfamilie im Personenverkehr zum Einsatz kommt. Auch die 750 258 wird man hier nicht mehr lange sehen, die Lokomotive ist eine der 19 Maschinen der Baureihen 750 und 753, die bis 2012 zur Modernisierung in die neue Baureihe 750.7 vorgesehen sind und wo sie danach zum Einsatz kommt, bleibt abzuwarten.

Wir fahren weiter in Richtung Děčín.

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843 016 mit R 1165 Horní Police - Liberec in Horní Police

Dem ortskundigen Leser wird dem Lesen der letzten Bildunterschriften nicht entgangen sein, daß Horní Police, ein Bahnhof zwischen Česká Lípa und Benešov nad Ploučnicí mit hübschen Blumenbeeten direkt am Bahnsteig, normalerweise weder Halt noch Endbahnhof der Schnellzüge zwischen Ústí nad Labem und Liberec ist. Aufgrund der vom Augusthochwasser auch in dieser Region verursachten und noch nicht reparierten Schäden an der Bahnstrecke ist hier jedoch heute Endstation und weiter nach Děčín geht es nur mit dem náhradní autobusová doprava (Schienenersatzverkehr). Während des Umsteigens bleibt kurz Zeit für ein Bild für den Triebwagen der Baureihe 843, der mit zwei modernisierten Beiwagen später am Abend als Schnellzug zurück nach Liberec fahren wird.

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471 029 in Děčín hl.n.

Die tschechische Eisenbahn wird blau. Nachdem bereits vor längerer Zeit die ČD Cargo begann, ein neues Farbschema einzuführen, folgt seit 2009 auch der Personenverkehr. Das vom Designstudio Najbrt entworfende Farbgedesign breitet sich, besonders entlang der Hauptstrecken, mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit aus. In den meisten Schnellzügen läuft mittlerweile wenigstens ein blau-weißer Wagen mit. Andererseits gibt es auch noch Regionen, in denen man den ganzen Tag unterwegs sein kann, ohne daß einem ein Fahrzeug im neuen Corporate Design begegnet.

Der Stadtelefant der Baureihe 471 auf dem Bild trägt ebenfalls schon die neuen Farben. Die bequemen Doppelstocktriebwagen kommen derzeit am Wochenende in einem Nahverkehsumlauf auf der Linie Děčín - Ústí nad Labem - Most zum Einsatz, ansonsten sind hier auch noch Wagenzüge mit Lokomotiven der Baureihe 163 unterwegs. Die modernere Frontvariante mit dem gebogenen Fenster und dem runden oberen Spitzenlicht besitzen die Stadtelefanten erst ab 471 027, vorher war die Stirnfront kantiger, das Frontfenster rechtecking und bis 471 014 bestand die untere Scheinwerferreihe aus sechs statt nun nur noch vier Lampen.

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163 257 (Umbau aus 162 057) mit R 1166 Děčín hl.n. - Ústí nad Labem hl.n. in Děčín hl.n.

In Děčín treffen wir auch auf die 163 257. Diese Lokomotive war die erste, welche im Najbrt-Farbschema lackiert wurde. Nur bei ihr und der ebenso lackierten 362 120 sind die schrägen Trapezkanten bis zum jeweiligen Ende des Lokkastens vorgezogen und das ČD-Logo an der Seite ist größer ausgeführt als bei den später umlackierten Lokomotiven. Sie steht gerade vor dem Schnellzug nach Ústí nad Labem, der normalerweise von Liberec kommen würde und nicht mit einer E-Lok bespannt wäre. Die Baureihe 163.2 entstand zwischen 1993 und 2008 durch einen Drehgestelltausch von Lokomotiven der Baureihen 162 und 363, die danach in die Baureihen 163.2 und 362 eingeordnet wurden. Der Grund für diese Aktion war ein Bedarf an 140 km/h schnellen Mehrsystemlokomotiven (die Baureihe 363 hat nur eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h, die Baureihe 162 jedoch eine von 140 km/h).

An dieser Stelle endet dann auch dieser Bilderbogen über etwa 100 Jahre Eisenbahngeschichte und einige Dinge, die einem gar nicht so alt erscheinen, die man jedoch heute an derselben Stelle schon nicht mehr antreffen würde.

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